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Beitrag vom 26.03.2010
Peaches Christ Superstar - featuring Chilly Gonzales. Wiederaufnahme vom 31. Mai bis 2. Juni 2010 im Hau 1
Undine Zimmer
Queering Jesus? Peaches interpretierte am 25. März 2010 das Webber Rock-Musical im Hau1 neu. Nur mit Stimme und Klavier besetzt sie sämtliche Rollen und zeigt sich den ZuschauerInnen von einer...
... ganz privaten Seite - zerbrechlich, gleichzeitig stark und vor allem stimmgewaltig.
"What´s the buzz?...
Ein heimlicher Blick durch einen Türspalt, bevor der Saal geöffnet wird. Peaches probt auf der Bühne. Ihre Stimme dringt schon durchs Foyer. Kann man durch den Türspalt etwas von dem Geheimnis sehen, das gleich auf der Bühne gelüftet wird? Peaches als Jesus Christ Superstar. Aber was passiert, wenn Peaches auf einer Theaterbühne steht und Musicalsongs singt? Ist Peaches dann noch "Peaches"? Was geschieht mit der heterosexuellen Aufladung der Geschichte von dem Mann Jesus, den Aposteln und der Frau Maria Magdalena?
"What´s the buzz, tell me what´s a-happening, what´s the buzz, tell me what´s a-happening?" fragen die Apostel Jesus, ihren Superstar, während Judas eifersüchtig und enttäuscht Jesus Taten hinterfragt. "Whats the buzz?" fragen sich vielleicht auch die Peaches-Fans im Publikum.
Gegen die Schubladen
Was passiert, wenn man einem "Superstar" alles wegnimmt: Kostüme, Bühnenshow, Performance und Band. Es bleibt eine kleine Frau in einem weißen Ganzkörperanzug mit Riesenkapuze, begleitet von einem Flügel. Hinter Peaches´ Stimme, die in ihrer Musik eher im Hintergrund bleibt, tritt an diesem Abend alles andere zurück - Köper und Musik assistieren nur.
Peaches geht in ihrer eigenen Musik immer gegen Schubladen vor: Dagegen, dass nur Männer sexistische Machos sind, "schmutzige" Sprache benutzten, dass Frauen jung bleiben müssen und ihr Alter verstecken, dass Frauen direkt sein können. Was hat also die Peaches von "Fuck the pain away" mit Peaches als Jesus Christus auf einer Theaterbühne gemeinsam? Mit Jesus Christ Superstar hat sie ein Musical gewählt, dass nur oberflächlich gesehen die Geschichte der letzten Tage von Jesus Christus bis zu seiner Kreuzigung erzählt.
Jesus Christ Superstar
Um zu verstehen was Peaches mit dem Musical macht, muss man zuerst "Jesus Christ Superstar" verstehen. Das Stück handelt von allem, was Sex attraktiv macht: Macht, Liebe, Eifersucht, Schwäche, Krankheit, Erfolg und Erschöpfung. "...He is just a tired man" singt Pilatus. Schon in der Vorlage von Andrew Lloyd Webber und den immer noch fantastischen Texten von Tim Rice, wird Jesus den ZuschauerInnen nicht eindeutig als Sohn Gottes präsentiert. "Jesus Christ Superstar", handelt auch von der Last, ständig instrumentalisiert zu werden und der Name könnte mit allem möglichen ersetzt werden: einem Star, einer Hoffnungsträgerin, einer Revolutionärin, oder mit einer Idee von Zukunft, Frieden, etc. In der Verfilmung von 1973 (von Norman Jewison mit Ted Neeley als Jesus) war Jesus Anführer einer funkigen Hippiebande, 2000 wurde er zum blonden Gangboss mit Seriengesicht (Glenn Carter). Dass man heute Peaches, "Badgirl des Elektro-Punk", erst auf Druck durch die Medien die Rechte für die Aufführung gegeben hat, zeigt, dass es doch noch nicht ganz behaglich ist, wenn eine Frau Jesus Christ Superstar allein auf die Bühne bringt.
Peaches Christ Superstar
Peaches inszeniert nicht alles neu. Sie ändert nichts am Text, gendert nicht und ersetzt "he" nicht mit "she". Ihre Bewegungen und das Bühnenbild sind minimalistisch, aber genau kalkuliert. Dennoch wird die Aufführung ein Spiel mit den Kategorien, wenn Jesus/Peaches zu einer Frau wird, Judas zu einer eifersüchtigen Zicke und Maria Magdalena ihr Liebeslied zu Jesus singt - singt dann eine Frau zu einer Frau oder ein Mann über einen Mann?
Zwischen den Rollen gönnt sich Peaches keine Künstlerinnenpausen. Licht oder ein Akzent auf dem Flügel ziehen die Trennstriche, hinter denen sie in Sekunden in eine andere Rolle steigt. Die tanzende Jüngerschaft wird zu einer wedelnden Handbewegung in der Luft, untermalt mit Klangeffekten. Pilatus bekommt eine tiefe Stimme, Judas eine trotzige, Maria einen leichten, hauchigen Ton, Jesus einen normalen, Herodes wird eine regelrechte Bitch.
Peaches nimmt ihre Rollen auf der Bühne unglaublich ernst, sie erzählt die Geschichte durch die Songs und ist jede einzelne der Charaktere. Sie wirkt manchmal wie abschlossen in einem eigenen Raum. Es ist tatsächlich, als könnte man der 16 jährigen Peaches zu sehen, während sie sich in ihrem Zimmer das gesamte Musical sich selber vorsingt, ohne Angst sich zu blamieren. Es hat auf der einen Seite etwas Nacktes, aber darin liegt auch etwas souveränes Starkes. Da ist jemand auf der Bühne, der wirklich nur da ist, um seine Stimme zu begleiten und sich in seiner Freude am Spielen keine Begrenzungen setzt. Gerade durch die wenigen visuellen Reize konzentriert sich die Zuschauerin ganz auf Peaches. Wer genau hinguckt und das Musical noch präsent hat, kann alles sehen, was Peaches sieht, wenn sie spielt. Je mehr es auf das Finale zugeht, desto mehr wenden sich die Texte auch direkt ans Publikum.
Nach den durchweg ausverkauften Konzerten Ende März war die Nachfrage so groß, dass weitere Vorstellungen des Rockmusicals stattfinden können.
Veranstaltungsort: Hebbel am Ufer, HAU 1
Stresemannstraße 29
10963 Berlin
Fon: 030 - 259004 27
www.hebbel-am-ufer.de
Aviva-Tipp: Standing Ovations für Peaches Christ SUPERSTAR. Unbedingt reingehen! Wer Musicals und besonders die Stücke von "Jesus Christ Superstar" liebt, bekommt eine Gänsehaut. Wer Peaches liebt, bekommt eine sehr leidenschaftliche Künstlerin, die am Ende des Stückes den Spieß noch mal umdreht - und Jesus Christ definitiv zu Peaches werden lässt.
Weitere Infos finden Sie unter:
www.hebbel-am-ufer.de
www.peachesrocks.com
www.umagazine.de
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